Schön ist das Leben gerade und paarweise,
aber das ungerade ist gerade am schönsten.
WAHN
„Weißt Du, wo Dein Mann steckt?” fragte Hermine mit einer komischen Betonung in der Stimme. „Sicher nicht im Büro, wenn Du so fragst.“ erwiderte Andrea etwas besorgt. Sie kannte Hermine gut genug und ahnte Böses. Ihre Stimme war herausfordernd und spöttisch zugleich. Eine derartige Tonlage durfte sie sich nur ganz selten erlauben und nur dann, wenn Andreas Mann, Wilfried, etwas versäumt hatte und Hermine korrigierend eingreifen musste. Sie setzte aber, wenn möglich noch spöttischer fort: „Der ist bei Nora.“ Andrea musste nachdenken und nachfragen zugleich. Erleichtert, weil sie sich doch Sorgen gemacht hatte, weil sie doch gefürchtet hatte, dass Wilfried etwas passiert war. Hermines Tonart widersprach zwar diesen Befürchtungen, aber wer weiß, vielleicht war auch sie auch betroffen oder verworren. Auf jeden Fall suchte Andrea jetzt in ihrem Gedächtnis nach Nora. „Ist sie die von Tupperware?“ fragte sie fast erfreut. Hermine brach in Geschrei aus: „Ja, das ist sie. Die AvonNora, die TupperNora, die ZepterNora. Nora A bis Z.“ Antwortete sie und brach zum Schluss in einem krampfhaften Gelächter ab. Andrea schwieg verworren. Hermine setzte dann siegesbewusst fort: „Weißt du, was sie machen?“ Jetzt begriff Andrea endlich die Situation und antwortete mit heiserer Stimme: „Wenn du so fragst, dann muss ich wohl annehmen…“ Hermine konnte sich nicht mehr beherrschen. Es brach aus ihr heraus: „Nein, du musst nicht annehmen, du musst wissen. Begreifen. Ja, die vögeln, die bumsen, die ficken!“ Das verschlug Andrea das Wort. Sie ließ nur einen Seufzer zu hören. Umso schwungvoller setzte Hermine fort: „Betroffen was? Aber weißt du, wer wirklich betroffen ist, weißt du, wen er jetzt tatsächlich betrügt? Du wüsstest es schon, wenn du deine großen schwarzen Augen auch zu etwas anderes gebrauchtest, als zum Bepinseln! Ja, ich sage es dir, dein Mann betrügt mich. Dich betrügen ist keine Neuheit für ihn. Das tun wir seitdem ich mit ihm zusammen bin. Seit sechsundzwanzig Jahren. Genauer gesagt, es war am elften April ein Vierteljahrhundert. Das haben wir auch schön gefeiert, in Spanien, als er diese ganz wichtige Verhandlung gehabt hat. Dann lagen wir die vollen drei Tage in Barcelona im Bett.“
Andrea hörte zu. Sie konnte es immer noch nicht begreifen. Wie im Traum fragte sie langsam und stotternd: „Wir haben vor kurzem Wein von ihr gekauft… Zwei Kartons. Das ist doch die Nora, die Du meinst.“ Hermine musste lachen. Sie war erleichtert und wollte ihren Siegesrausch genießen, bis zum letzten Tropfen: „Wein und Wasser, sogar die Wasserfiltrieranlage. Wir haben alles Mögliche von ihr gekauft, nur damit Wilfried ihr näher kommt. Du säufst ihren Wein, Du kochst in ihrem Topf, du schläfst auf ihrer Matratze, und Dein Mann macht jetzt auch gerade seine Übungen auf ihrer Matratze, und mein Geliebter bringt ihr gerade die Künste bei, die er von mir gelernt hae und die Du auch so gerne voll auszuschöpfen gewillt bist.“
Andrea konnte nur langsam folgen. Hermine beeilte sich zu sehr und versäumte damit viel an Wirkung. Andrea starrte vor sich hin und wiederholte leise: „Fünfundzwanzig Jahre… Angelika ist jetzt fünfundzwanzig.“ Für Hermine war das wieder eine Steilvorlage: „Sie wird erst fünfundzwanzig, am dritten September. Ich habe eher gewusst, dass sie ein Mädchen ist, als Dein Mann. Den Anrufbeantworter habe nämlich ich abgehört, solange er beim Pinkeln war. Du weißt doch, er pinkelt immer so schwer nach Sex…“ |